Wer hätte gedacht, dass aus einigen kurzen Sätzen in einem
Comic solch ein Phänomen entstehen könnte? Eine Comicseite genügte, um noch
Jahre später hitzige Diskussionen über die Bewertung einzelner Filme entstehen
zu lassen.
Was ist der Bechdel-Test?
Der Bechdel-Test (auch die Bechdel-Regel oder
Bechdel/Wallace-Test genannt) entstammt einer Folge der Comicserie „Dykes to
watch out for“ (dt. Lesben vor denen man sich in Acht nehmen sollte) der
US-amerikanischen Cartoon-Zeichnerin Alison Bechdel. „Dykes to watch out for“
ist der erfolgreichste und älteste queere Comicstrip (1983 – 2008) weltweit. Die
erste Ausgabe erschien 1983 in „Womannews“ und die Comics wurden später auch in
andere Zeitungen übernommen
Der Bechdel-Test taucht zum ersten Mal 1985 in der Folge
„The Rule“ (dt. Die Regel) auf und wurde danach mehrfach aufgegriffen. In „The
Rule“ erklärt eine Figur ihre drei Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit
sie sich einen Film anschaut:
- Es spielen mindestens zwei Frauen mit
- Die sich miteinander unterhalten
- Über etwas anderes als einen Mann
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Alison Bechdel - "Dykes to watch out for - The Rule" (1985) |
Später wurden diese, oberflächlich betrachtet erst einmal
nicht sehr schweren Anforderungen, noch darum erweitert, dass die zwei
weiblichen Charaktere Namen haben müssen –„ Kellnerin 1“ oder „Frau an
Tankstelle“ gelten nicht.
Selbst nach dieser Erweiterung erscheinen die Anforderungen
mehr als minimal. Umso erstaunlicher (oder vielleicht gerade nicht erstaunlich)
sind die Ergebnisse, wendet man den Test einmal auf die Filme der letzten Jahr
– oder überhaupt jeden Jahres – an.
Machen wir den Test!
Die Webseite Bechdeltest.com
hat bis heute 3479 Filme auf die Erfüllung des Bechdel-Tests, mit dem
erweiterten Anspruch auf weibliche Charaktere mit Namen, untersucht. Die Ergebnisse sind mehr als
ernüchternd.
Gerade einmal 53,9% der untersuchten Filme bestehen den Test
ganz. Haben also mindestens eine Szene, in der zwei, namentlich bekannte
weibliche Figuren miteinander über etwas anderes als einen Mann reden. Nur
damit das auch vollkommen klar ist: Eine einzige lausige Szene reicht um den
Test zu bestehen.
11,1% der Filme schaffen es, zumindest zwei der Kriterien zu
erfüllen. Es sprechen also zwei namentlich bekannte Frauen miteinander.
24,5% der Filme haben zwar zwei namentlich bekannte
weibliche Figuren, diese reden aber nicht miteinander und ganze 10,5% der Filme
erfüllen nicht eine einzige der Voraussetzungen.
Natürlich sagt der Bechdel-Test, oder besser das Bestehen
oder Nichtbestehen des Tests, nichts über die generelle Qualität eines Filmes
aus. Die meisten bekannten Filme fallen durch, darunter auch viele meiner
persönlichen Lieblingsfilme. Indie Produktionen bestehen den Test übrigens
wesentlich häufiger als große Mainstream/Hollywood Produktionen.
Was der Test aber schafft, ist eine einfache Formel zu liefern,
mit der sich die Präsenz und die Relevanz weiblicher Figuren messen lassen. Die
Präsenz wird durch die Anforderung an mindestens zwei Frauen im Film gemessen.
Wobei „zwei“, nicht gerade eine hohe Messlatte ist, schaut man sich einmal die
Länge der Besetzungslisten der meisten Filme an. Mit der Frage nach den Namen
der Figuren soll ihre Relevanz bestimmt werden. Sind sie es - im Kontext des
Filmes - wert, namentlich bekannt zu sein? Die Frage nach einem Gespräch
zwischen zwei Frauen und nach dem Thema ihres Gespräches untersucht, inwieweit
die Figuren eine Bedeutung für die Geschichte haben, die von den Handlungen
eines männlichen Charakters (zumindest zeitweise) losgelöst ist. Besitzen sie
unabhängige Meinungen, Sorgen oder Anliegen?
Allein das Kriterium mindestens zwei weibliche Charaktere
mit Namen zu haben, schließt selbst viele der Produktionen mit großem Ensemble aus.
So bestehen zum Beispiel „Ocean’s Eleven“, „Männer die auf Ziegen starren“,
„Hancock“, „Das Leben der Anderen“, „Prince of Persia“ und „Predators“ nicht
einmal diesen Minimalanspruch. Interessant dabei ist, dass Animationsfilme auch
nicht viel besser abschneiden: „Ratatouille“ und „Madagascar“ erfüllen ebenfalls
nicht eine einzige der Bedingungen.
Selbst Filme mit vermeintlich „toughen“ weiblichen
Hauptcharakteren, wie zum Beispiel „Haywire“, „Lara Croft: Tomb Raider“ oder
„Lara Croft Tomb Raider: Die Wiege des Leben“, rasseln komplett durch den Test.
Sie erfüllen nicht einmal die minimal Anforderung, zwei weibliche Charaktere mit
Namen auftreten zu lassen. Die weiblichen Figuren dieser Filme agieren in einer
isolierten Blase, umgeben nur von Männern.
Nimmt man das zweite Kriterium (die Frauen reden
miteinander) hinzu, haut es weitere der großen Filme der letzten Jahre aus dem
Rennen. Weg sind „The Social
Network“, „Tron Legacy“, „The Avengers“, „Dame, König, As, Spion“, „Kick-Ass“, „The Dark Knight“, „The Dark Knight Rises”,
„Memento“ „Looper“, „Burn after Reading“, „Men in Black III“ … Ich
könnte mir die Finger wund tippen.
Gehen wir zum letzten Kriterium über. Die weiblichen Figuren
des Films sollen, sofern sie denn überhaupt miteinander reden, über etwas
anderes reden als Männer. Was Frauen manchmal tatsächlich machen. Das scheint,
zumindest der Filmwelt nach, wenig bekannt zu sein, aber es passiert.
Spätestens hier sortiert es „The Amazing Spiderman“,
„Avatar“, „Ted“, „Iron Man“, „Knight and Day“ und „Lachsfischen im Jemen“ aus.
Um nur einige zu nennen.
Möchte frau/man die extreme Differenz in der Darstellung von
Frauen und Männern in Filmen sehen, braucht frau/man nur einmal zu versuchen
den Film zu finden in dem nicht zwei
Männer (mit Namen) über etwas anderes als eine Frau reden. Außer dem Klassiker „Die Frauen“ von 1939 fällt mir da nichts ein.
Aber ich würde mich freuen, in den Kommentaren auf weitere dieser Raritäten
aufmerksam gemacht zu werden.
Das mehrere relevante männlich Figuren in einem Film
vorkommen, die effektiv am Voranschreiten der Geschichte beteiligt sind, ist
einfach die absolute, überwältigende Norm. Frauen hingegen treten wesentlich
öfter als Beiwerk, Randerscheinung oder Liebhaber_in auf. Sie sind da, um den
männlichen Hauptcharakter zu motivieren (indem sie entführt oder gleich getötet
werden – siehe Christopher Nolans Filme) - oder um ihn anzuschmachten und angeschmachtet zu werden. Frauen,
die nur auftreten, um über den Kerl in der Story zu reden, sind zu erklärendem
Beiwerk reduziert. Sie haben die Funktion dem Publikum etwas über die Männer,
die die Geschichte vorantreiben und bestimmen, mitzuteilen.
Probleme – Schlechter Film bleibt schlechter Film!
Macht das aber einen Film zu einem schlechten Film? Sagt die
Tatsache, dass zwei Frauen sich kurz über etwas anderes als einen Mann reden,
etwas über die Qualität eines Filmes aus? Die kurze Antwort lautet: Nein.
Natürlich nicht.
Das Bestehen des Bechdel-Tests ist kein Gütesiegel für einen
Film. Genauso wenig wie das Durchfallen einen Film notwendigerweise schlecht
macht. Der Test kann besonders die Relevanz von weiblichen Charakteren nur bis
zu einem gewissen Grad messen. Die Tatsache, dass sich im Verlauf von
eineinhalb bis zwei Stunden einmal zwei Frauen über ein Auto, oder den
Geschmack einer Tasse Tee unterhalten haben, sagt noch nichts über das im Film
verbreitete Frauenbild aus. Ein Film kann voll von Frauen sein, die über alles
Mögliche reden, und dennoch – um meine Kollegin zu zitieren – „sexistische
Kackscheiße“ sein. Ein sehr offensichtliches Beispiel dafür ist „Sucker Punch“. Generell
fällt so ziemlich jeder Film des „Teen-Splatter-Horror- Bikiniweiber-auf-der-
Flucht“-Genres in diese Kategorie. Halbnackte, vollbusige „Schaupielerinnen“
reden über Monsterhaie, Piranhas oder axtschwingende Maskenmörder. Bechdel-Test
bestanden, mit Sexismus hoch Zehn. Überhaupt bestehen die meisten Horrorfilme
den Test (z.B. „Resident Evil: Retribution“, „Silent Hill: Revelation 3D“, „28
Days Later“ und auch „Prometheus“). Wahrscheinlich sterben Frauen einfach
schöner…
Ein schönes Beispiel für einen Film, der genau in der
einzigen Szene, in der zwei Frauen sich über etwas anderes als einen Mann
unterhalten, puren Sexismus offenbart, ist der neue „Star Trek“. In diesem
kurzen Gespräch, welches nach wenigen Sätzen auch schon zu einer Unterhaltung
über den männlichen Hauptdarsteller wird, erzählt Uhura ihrer Mitbewohnerin von
ihrer Arbeit im Labor … während sie sich auszieht … wobei ihr der unter dem
Bett versteckte Kirk zuschaut!
Ein weiteres Problem mit dem Test besteht darin, dass einige
Filme einfach auf Grund ihrer Thematik keinen Raum für weibliche Charaktere
bieten. Weder „Von Menschen und Göttern“ noch „Der Name der Rose“, beides Filme
die in Klöstern spielen, verdienen Kritik, nur weil in ihnen keine Frauen
auftauchen. Genauso wenig wie sich irgendjemand beschwert, dass „Band of
Brothers“, „Platoon“ oder so ziemlich jeder andere Kriegsfilm den Bechdel-Test
nicht bestehen (obwohl sich das hoffentlich, mit der steigenden Zahl von Frauen
im Militär, bald ändern wird).
Fazit
Es geht beim Bechdel-Test nicht darum, zwingend weibliche
Charaktere in jeden Film zu zwängen oder ein „Sexismus frei“-Siegel zu haben,
nur weil zwei Frauen ein paar Worte miteinander wechseln.
Es geht darum, herauszustellen, wie selten starke und
unabhängige Frauen in Filmen sind. Wie selten sie ihre eigenen Geschichten
haben und wie selten dies in Gesellschaft von anderen Frauen passiert. Ob ein
einzelner spezifischer Film durchfällt oder besteht, ist nicht das Thema. Das
Problem, auf das mit dem Test aufmerksam gemacht werden soll, ist die Menge der
Filme, die nicht bestehen. Die große Frage die dahinter steht, und über die
dann hoffentlich nachgedacht wird, lautet: Und warum ist das so?
Weiterführende Links:
Der Test wurde eigentlich für die
Beurteilung von Filmen (siehe http://bechdeltest.com/)
entwickelt, er wird inzwischen aber auch auf andere Medien angewandt: